Bücherherbst: Romane und Streugut

„Streu doch Gedichte ein“, sagte zu mir meine Autorinnenkollegin Annemarie Ptak, als wir eine Woche vor der Veranstaltung mit Buchvorstellung und Autorenlesung telefonierten. „Bücherherbst“ nannte die Buchhändlerin Lilia Frick in ihrem Buchhandladen „Lass und lesen“ den literarischen Abend im Rahmen der Frankfurter Buchmesse . 18 Titel hatte meine Kollegin in Hanau-Großauheim vorbereitet, ich sollte den Büchermarathon mit selbstgeschriebenen Zeilen auflockern und den Kopf der Zuhörer:innen für den nächsten vorzustellenden Roman freimachen. Ich spürte, dass kleine Gedichte anstatt einer Kurzgeschichte besser passen könnten und begann, in meinem digitalen Literaturordner zu stöbern. Uns beiden blieben drei drei Tage Vorbereitungszeit. Aber zurück zum eingangs erwähnten Telefonat: Beim Wort „Einstreuen“ musste ich an meine Kindheit in der Steiermark denken, als ich Kühen, Schweinen und Hasen Stroh in ihren Stall streute, die Tiere lebhaft wurden und wie Gämsen auf dem Streugut herumzusprangen. Eine literarische „Einstreu“ könnte doch auch meinen Zuhörer:innen gefallen, dachte ich mir, und fand an der Idee meiner Kollegin sofort Gefallen. Gesagt, getan. Ich streute nach und nach mit meinen gelesenen Gedichten die Buchhandlung ein. Gut zwei Dutzend Menschen angelten nach meinen Texten mit Eigenillustrationen, die ihnen wie bunte Herbstblätter vor die Füße flatterten. Auch meine Kollegin reichte ihre Romane an das Publikum weiter. Der Bücherherbst erstrahlte in allen Farben. Für alle sollte etwas dabei sein, so der Anspruch des Bücherabends.

So verwunderte es nicht, dass Annemarie Ptak ihre Romanvorstellung kulinarisch mit dem Titel „Zukunft kochen“ des Sternekochs und Klimaschutzaktivisten Holger Stromberg begann. 6,5 Millionen Tonnen Lebensmittel wurden 2021 in Deutschland vernichtet, umgerechnet 78 Kilogramm pro Person. Ausgefeilte Rezepte mit exotischen Früchten und exklusiven Fleischgerichten tragen zusätzlich zur Klimazerstörung bei, berichtet die Präsentatorin. Kurzum: Regional und kreativ mit wenig Fleisch- und Milchprodukten kochen, so das Fazit. Was lag also näher, als mit meinen Gedichten „Hafengärtner“ und „Kleine Gemüsebeete“ zu beginnen, gärtnerte ich doch selbst 5 Jahre im Offenbacher Hafengarten und jetzt im Frankfurter Grüngürtel im nahegelegenen Oberrad. Aber keine Sorge: Ich erzähle jetzt weder von meinen  ein dutzend Paradeisersorten noch von den Tonwasserspeichern, die ich mit Regenwasser fülle. Es geht weiter mit dem Bücherherbst mit dem Titel „Simon“ des Spaniers Miqui Oteró, der als Schlüsselfigur der Kurlturszene Barcelonas gilt und dem mit diesem Titel der literarische Durchbruch gelang. Ein Familienroman der letzten Jahrzehnte, der die Entwicklung Barcelonas zur „Schicki-Micki-Metropole“ nicht ausspart und wie ein Schelmenroman daherkommt, erzählte meine Kollegin. Ich antwortete mit meinen Gedichten „Die Welt ist rund“ und „Alles“. Passend zum Ableben der Queen folgte „Die souveräne Leserin“ des populären britischen Dramatikers Alan Bennett. Die Queen beauftragt den Küchen jungen Norman, ihr Bücher zu empfehlen und zu beschaffen. Er bringt sie dazu, zur begeisterten Leserin schöngeistiger Literatur zu werden, die Kunst des „gleichzeitigen Lesens und Winkens“ zu beherrschen und dabei in der Kutsche das Buch „unterhalb der Fensterkante“ zu halten. Alan Bennett sei ein Spezialist des englischen Humors und dafür bekannt, mit seinem Hausschein spazieren zu gehen. Ich ergänzte mit „Großer Geburtstag“, eine Hommage an Virginia Woolf, und dem Gedicht „Hundeleben“, einer Beobachtung unserer Labradorhündin.

„Das besondere Elternhaus“ war meine Antwort auf den vorgestellten Roman „Die Nacht unterm Schnee“ von Ralf Rothmann, der eine Maurerlehre absolvierte und als Krankenpfleger arbeitete. Es ist der dritte Band seiner Trilogie und erzählt die Geschichte eines 16-jährigen Landarbeitermädchens, dass im Winter 1945 von einem russischen Soldaten vergewaltigt wird und darüber, wie sie ihr Leid verdrängte, damit anderen Leid zufügte, aber auch um den Willen zum Leben, zur Liebe, schildert Annemarie Ptak. Zum Titel „Ewig währt am längsten – Tante Ernas Tanz“ von Markus Orths holte ich aus dem Publikum meine Sprachstudentin Mariella F. v. Flotow aus Peru auf die Bühne, Autorin der Hanauer Buchstabenwerkstatt, die ihre amüsante Kurzgeschichte „Die Dame mit dem roten Schal“ vorlas. In Orths Roman geht es um „ein Dorf in der Provinz, skurrile Charaktere und einen vorgetäuschten Todesfall“ schrieb NDR-Kultur. Die 99-jährige Tante Erna trinkt unterm Dach mit dem Pastor Fusel. „Die Dame mit dem roten Schal“ ist 96 und hat neben ihrem Sofa einen Bierkasten stehen. Mariella F. v. Flotows Geschichte war beim Publikum eine Punktlandung. Es sollte weitere Romantitel regnen: Darunter Lucy Frickes „Die Diplomatin“, „Ein Sommer in Nierndorf“ von Heinz Strunk, ein Text über eine Auszeit in einem Ostsee-Apartment, in dem ich mein Gedicht  „Locarno“ einstreute. „Nachmittage“ von Ferdinand von Schirach, das dreizehnte Buch des Bücherherbstes, dessen Kurzgeschichten u.a. in Berlin, Tokyo, New York und Wien spielen, würzte ich mit meinem Prosagedicht „Wiener Neustadt – Café Stadler“. Lediglich einmal wich ich vom „Einstreuen“ ab und las auf Wunsch meiner Kollegin zum Kriminalroman „Tod im Bankenviertel“ des Finanzjournalisten und Autors Detlef Fechtner den ersten Teil meiner Kurzgeschichte „Goethe wieder auf Beinen“. Ich ließ in einer lauen Sommernacht den ausgeruhten Dichterfürst am Frankfurter Goetheplatz vom Sockel steigen und gutgelaunt nach Offenbach spazieren.

Am Ende angelangt, sollte es mit dem achtzehnten Buch wieder um das Thema regionales und saisonales Kochen gehen: „Garten-Koch-Buch-Pflanzen-ernten-saisonal genießen“. Ich schloss den Lesereigen mit „Tomatensommer“:
Oberräder Buntgesichter / stellen die Gemüsewelt / sommerlang auf den Kopf // Salatköpfe wetteifern / mit neuen Frisuren // Kräuter in Hochbeeten / pinseln aus / Goethes Farbtöpfen // Unter der Decke / halten Erdäpfel / ihre Rundungen versteckt // Beginnen die Herren Grünkohl / sich warm anzuziehen / müssen die Tomatenmädels / ihre bunten Sommerkleider / in die Schränke räumen (aus: Literatur zur Werkzeit, S. Katharina Eismann, Johann Kneißl u.a. (Hrsg.), Offenbacher Editionen 2014.

Ich bedanke mich bei der Buchhändlerin und meiner Kollegin für den tollen Abend. Danke auch an die Buchhandlung Lass und Lesen für die zur Verfügung gestellten Fotos.

Hier finden Sie eine Auswahl unveröffentlichter Gedichte:

Alles

Großer Geburtstag

Hundeleben

Kleine Gemüsebeete

Mit leuchtenden Augen

Schwertransporter

Stammgast in Offenbach