Wohnen am Wilhelmsplatz

Im Juni 2018 hat die Stiftung LEBENSRÄUME das Wohnheim für psychisch kranke Menschen am Starkenburgring aufgelöst. Mit diesem Schritt wurde ein zentraler Teil des neuen Bundesteilhabegesetztes (BTHG) in Offenbach umgesetzt. Xenia Dick und Bernd Butzbach haben den einjährigen Veränderungsprozess mitgestaltet und die Menschen beim Umzug begleitet. Ein Gespräch.

Genau 30 Jahre wurden im Wohnheim am Starkenburgring bis zu 26 chronisch erkrankte Menschen stationär betreut. Diesen Sommer zogen die letzten 16 Bewohner in Wohnungen an den Wilhelmsplatz und in die Bieberer Straße. Beim Wort „Heimbetreuung“ drängt sich einem „Normalbürger“ schnell das Bild im Kopf auf, dass die Heimbewohner nach starren Regeln leben müssen: Feste Essens- und Ausgangszeiten mit Hausschließung um 22:00 Uhr, ein beaufsichtigtes Beschäftigungsangebot, vier Mal am Tag streng kontrollierte Tabletteneinnahmen. Wie sollen nun diese Menschen außerhalb des Heimes mit einem Leben in Freiheit zurechtkommen? Mir gegenüber sitzt Xenia Dick. Die 34-jährige Dipl.-Sozialpädagogin, beginnt aus dem Heimalltag zu erzählen: „Mit „Heiminsassen“ und „Hausschließung“ hatte unsere Arbeit nichts zu tun. In unserem Wohnheim, das wir zuletzt „Wohnhaus“ nannten, konnten die Menschen überwiegend eigenständig leben. Es gab zwar feste Strukturen mit Hausordnung und Essenszeiten. Die festen Zeiten waren jedoch aufgebrochen, die Bewohner konnten wählen, ob sie am Essen teilnehmen oder sich selbst versorgen möchten. Für uns stand die Wahlmöglichkeit im Vordergrund. Sie erledigten Einkäufe im Supermarkt oder am Kiosk, knüpften Bekanntschaften zu Nachbarn, sprachen mit wartenden Taxifahrern.“
Xenia Dick arbeitet seit fünf Jahren bei Lebensräume, begleitete Menschen im Wohnheim, betreut Wohngruppen in den Stadtvierteln, ist ambulant aufsuchend im Betreuten Einzelwohnen tätig und organisierte mit ihrem Kollegen Bernd Butzbach den Auszug der Heimbewohner.

Die Veränderung war für alle Beteiligten kein Selbstläufer. Im gemeinsamen Gespräch wird aber auch deutlich, dass die mit dem Umzug in die neuen Stadtteile verbundenen Sorgen und Ängste der Bewohner sich nicht wesentlich von den Aufregungen und Anstrengungen unterscheiden, die eben ein Umzug für jeden Menschen mit sich bringt, erzählt Xenia Dick. Die Geforderten scheinen bei der Auflösung des Wohnhauses am Starkenburgring auch die Betreuer zu sein: „Wir mussten die gewohnten Dienstabläufe neu überdenken und die Versorgung und Betreuung komplett umstellen“, erzählt Bernd Butzbach. Der 63-jährige Dipl.-Pädagoge arbeitet seit 23 Jahren bei LEBENSRÄUME und ist mit den Strukturen eines eingespielten Heimalltags bestens vertraut.

(…) Am Wilhelmsplatz leben jetzt sieben Menschen in zwei 3 und 4-Zimmerwohnungen. Um 8.00 Uhr morgens kommt ein Mitarbeiter des Funktionsdienstes in die Wohnungen, unterstützt bei Bedarf beim Frühstück, verabreicht die Medikamente, sieht nach der Wäsche. Zum Tagesablauf schildert Xenia Dick, dass ein Teil der Menschen in der Integrationsfirma ESSwerk arbeitet, die Werkstatt für Menschen mit Behinderungen besucht oder zur Ergotherapie in die Luisenstraße geht. Jene, die keine oder noch keine feste Tagesstruktur haben, so die Dipl.-Sozialpädagogin, sind aber aktiv, im Stadtteil unterwegs und gestalten ihre Freizeit selbstständig. Abends kommt erneut ein Mitarbeiter, unterstützt beim Abendessen und bei der Medikamenteneinnahme. Freitags wird der „große Wochenendeinkauf“ besprochen und mit Begleitung erledigt – oder vom Mitarbeiter alleine, wenn es der Gesundheitszustand des Bewohners gerade nicht erlaubt. Wer möchte, kann am Wochenende alternativ an einem gemeinsamen Mittagstisch in der Luisenstraße teilnehmen.

(…) Die Hilfen im Bereich Wohnen werden nach dem neuen Bundesteilhabegesetz zukünftig in „Besonderen Wohnformen“ erbracht. Stationäres Wohnen in Wohnheimen soll es künftig in der jetzigen Form nicht mehr geben. Die Wohnungen am Wilhelmsplatz und in der Bieberer Straße sind von LEBENSRÄUME angemietet und liegen in unmittelbarer Nachbarschaft zu Wohnungen und Häusern von Offenbacher Bürgern. Dieses Wohnen „mittendrin und inklusiv“ ermöglicht Teilhabe und bringt Normalität in den Alltag. Nach der UN-Behindertenrechtskonvention haben alle Menschen, unabhängig von Behinderung oder Erkrankung, das Wahlrecht auf die gewünschte Wohnform.

(…) Die Frage zum Schluss: Welche Unterstützung brauchen die Bewohner am Wilhelmsplatz und in der Bieberer Straße von den Nachbarn für ein gelingendes Zusammenleben? „Es braucht das Verständnis für Menschen, die anders sind. Wichtig ist, sie mit Respekt und Anstand zu behandeln wie jeden anderen Menschen auch“, äußert Xenia Dick. Für Bernd Butzbach ist die Akzeptanz ein wichtiger Aspekt: „Zu akzeptieren, dass es Menschen gibt, die nicht so sind wie ich selbst. Ein Beispiel: Wenn ich gerne mit Nachbarn rede, muss ich auch akzeptieren, dass mein Gegenüber vielleicht nicht sprechen möchte.“

Der vollständige Text wurde im Stadtmagazin „Mut & Liebe“, Ausgabe 29/2018 veröffentlicht. Klicken Sie zum Artikel hier.