Neue Kurzgeschichten von geflüchteten und zugewanderten Menschen erschienen

Seit nunmehr fünf Jahren lehre ich aus Kriegsländern geflüchteten und aus aller Welt nach Deutschland zugewanderten Menschen in Integrations- und Berufssprachkursen Deutsch als Fremdsprache (DaF). Von den ersten Worten bis zum Universitätsniveau.
Bis heute ist für mich diese Arbeit Bereicherung und Herausforderung zugleich: Erfahre ich doch von Menschen aus allen Kontinenten ihr „halbes Leben“ und kann mich so ohne Reisen zu müssen in meiner Heimatstadt „in der ganzen Welt“ zuhause fühlen, so heißt es für mich zugleich, neben der Vermittlung der schwierigen deutschen Sprache und den Grundregeln eines  demokratischen Zusammenlebens, auch ihre Sorgen und Wünsche in den Unterricht einzubeziehen. Dabei prallen Lernkulturen und Sprachniveaus aufeinander. Sind die einen neugierig und zielstrebig in ihrem Vorankommen im neuen Heimatland, so verzweifeln die anderen nahezu ob ihrer Schwierigkeiten beim Spracherwerb oder bei der Suche nach einer Arbeit. War für die geflüchteten und zugewanderten Menschen der Mangel und das Alltagsleben im Herkunftsland schon groß und schwierig genug, so müssen sie erneut von vorne beginnen: Neben dem Erlernen der Sprache z.B. mit einer neuen Ausbildung

als Erzieher*in oder als Fachkraft Pflege beginnen, obwohl sie oft über 20 Jahre als Lehrer*innen in ihrem Herkunftsland unterrichtet oder als qualifizierte Fachkräfte gearbeitet haben. Payal aus Pakistan bringt das Dilemma auf den Punkt: „Ich fühle mich so wie ein Kind. Ich fühle, als wäre ich nochmal geboren, wie ein Kind, das nicht die Sprache kann, nicht die Leute kennt aber es weint, gleich wie ich.“

Das Erzählen ihrer Her-, An- und Zukunftsgeschichten während des Deutschunterrichts und in den Pausen brachte mich auf die Idee, den Menschen neben der klassischen Sprachvermittlung ein anderes Format anzubieten. Ein Format, das Zeit und Raum lassen soll, das Persönliche in Form von Gedichten und Kurzgeschichten aufzuschreiben und literarisch zu gestalten. Da traf es sich gut, dass mich im Frühjahr 2019 Pia Glück, Programmbereichsleiterin für Deutsch als Fremdsprache und Hauptschulabschlüsse bei der vhs Offenbach, in ihrem Büro ansprach und sozusagen den Faden in meinem Kopf aufnahm. Zwei Wochen später startete ich meine Buchstabenwerkstatt HER | AN | ZU | KUNFT. Später kam Dr. Judith Lechner vom Grundbildungszentrum der vhs Hanau auf mich zu. Nun haben in zwei Jahren 20 Menschen an insgesamt 20 Schreibabenden und Workshop-Tagen ihre Lebensgeschichten in zwei Werkstattheften veröffentlicht.

Neben gemeinsamen Lektüreabschnitten ausgewählter Gedichte und Kurzgeschichten von zugewanderten Menschen schrieben die „frischgebackenen Autor*innen“ über nahezu alle Zeitphasen und Themen ihres  Zuwander*innen-Lebens: Von Liebe bis Tod. Yenny Schüttler-Ruge aus Kolumbien schließt den Kreis: „Der Taxifahrer hat mich durch den Spiegel beobachtet und endlich gefragt, ob ich es eilig hätte? Dann habe ich ihm erzählt, was mir gerade passiert ist. In diesem Moment dachte ich an das Leben meiner Mutter. Sie hat Lebensfreude, sie mag Spaziergänge, sie mag Musik und Tanzen. Vielleicht ist was schief gelaufen (…) ich spürte plötzlich unbeschreibliche Schmerzen in mir. Solche Schmerzen hatte ich nie zuvor in meinem Leben.“

Die beiden Werkstatthefte eignen sich sowohl für das selbstständige Lesen als auch für den Einsatz im Sprachunterricht Deutsch als Fremdsprache. Dabei ist das Werkstatt-Heft 1, das bei den Workshops in der vhs Hanau entstanden ist, für die Niveaustufe B1/B1+ bis B2.1 geeignet, das Offenbacher Werkstattheft 2 würde ich für die Niveaustufen B2 und C 1 empfehlen.

Die Hefte wurden von mir in Kooperation mit den Volkshochschulen Hanau und Offenbach mit 72  und 104 Seiten in  Großschrift und mit Illustrationen von Cettina Colantoni in Drahtheftung herausgegeben.

„Die Geschichten, die „unsere“ Teilnehmenden für dieses Heft geschrieben haben, haben mich sehr berührt. Die Geschichten geben einen tiefen Einblick in die Gefühls- und Lebenswelt der Menschen – es ist wahrlich ein Geschenk, diese Geschichten lesen zu dürfen. Vielen Dank, dass Sie dieses Schreibprojekt mit den Teilnehmenden umgesetzt haben – ich bin sehr beeindruckt!“ (Elke Hohmann, Leiterin der Volkshochschule Hanau, zum Hanauer Werkstattheft 1)

Lesen Sie hier den Beitrag „Die Buchstabenwerkstatt HER | AN | ZU | KUNFT“ im Jubiläumsheft von Mut & Liebe, Ausgabe 41, Dezember 2021.

Die Werkstatthefte 1 + 2 können direkt bei mir zum Selbstkostenpreis zu je € 6,50 + Porto schriftlich gegen Rechnung bestellt werden: Johann.Kneissl@allemunde.de

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