Gespräche mit dem Kater

Die Buchstabenwerkstatt HER | AN | ZU | KUNFT

FREIHEIT UND DEMOKRATIE

Mitte März 2023 startete meine dritte Buchstabenwerkstatt HER | AN | ZU | KUNFT in der Sonnemannstraße gegenüber der EZB in Frankfurt am Main. Mit 16 Sprachstudent:innen der Niveaustufen B1 bis C1 ist die Schreibwerkstatt ausgebucht. Umsetzen konnte ich sie in Kooperation mit der Volkshochschule Frankfurt am Main. Am Projekt nehmen Zuwander:innen teil, die aktuell die deutsche Sprache lernen. Schreibanlass ist das Frankfurter Paulskirchenfest zum 175. Jubiläum der ersten Deutschen Nationalversammlung – der Geburtsstunde für Freiheit und Demokratie. Die aktuelle Buchstabenwerkstatt wird von der Polytechnischen Gesellschaft Frankfurt am Main finanziell gefördert. An den Präsenzveranstaltungen kann auch per Videozuschaltung teilgenommen werden.

Nach vier Treffen haben die jungen Autor:innen ihre Kurzgeschichten und Gedichte konzipiert und erste Schreibergebnisse gemeinsam diskutiert. In vier weiteren Terminen werden sie die Texte finalisieren, um sie dann bei der musikalischen Lesung mit dem Gitarristen Pit Uferstein am 21. Mai 2023 im Stadthaus Frankfurt vor 100 Gästen der Öffentlichkeit vorzustellen. Zur Lesung findet eine Ausstellung der Kurzgeschichten und Gedichte mit Illustrationen auf Holzstelen statt. Als Abschluss des Projekts wird ein Werkstattheft mit allen Texten gedruckt.

Michaela L. aus Süditalien beginnt ihre Kurzgeschichte unter dem Arbeitstitel „Demokratie ist eine Emotion“ mit der aktuellen Frankfurter Oberbürgermeisterwahl. Sie lebte viele Jahre in Frankreich, zog vor zwei Jahren in die Stadt Frankfurt und konnte erstmals außerhalb Italiens bei einer Kommunalwahl wählen. Ihre Eltern und Geschwister reisen aus Italien an, die ganze Familie begleitet sie zum Walhlokal. Der Vater ist fasziniert, dass er ohne Polizeikontrolle eintreten kann. Er spricht kein Wort Deutsch und kommuniziert mithilfe einer ÜbersetzungsApp angeregt mit einem Wahlhelfer.

Die jungen Autor:innen sprechen über ihre Texte

Yasemin Ü. wird als Kind türkischer Eltern in Frankfurt geboren. Als sie elf Jahre alt ist, entscheiden die Eltern, in die Türkei zurückzugehen. Sie fühlt sich über viele Jahre entwurzelt, emotional irritiert, von den Menschen nicht gesehen und ohne „Muttersprache“ wie behindert. Mit knapp fünfzig Jahren kehrt sie nach Frankfurt zurück und spürt, dass sie ihre Geschichte aufschreiben muss. Yasemin, die eigentlich Jasmin heißt, sitzt vor 40 Jahren bei der Abreise weinend auf der Rückbank, schaut durch das Rückfenster, sieht ihre Freundin dem Auto nachlaufen. „Wenn sie es schaffen würde, das Auto anzuhalten, könnte ich für immer hier in Deutschland bleiben.“

Mariam A. erfindet in ihrer Kurzgeschichte schreibend ihre Kindheit. Sie reiht Worte und Bilder einer schönen Kindheit aneinander, lässt ihre Zuhörer:innen in die eigene Kinderwelt eintauchen und zugleich deutlich werden, dass es für die Erzählerin weder eine unbesorgte Kindheit mit präsenten Eltern noch ein Leben in Freiheit und Demokratie gab. Sie wächst als Kind ukrainischer Eltern in Palästina auf und steht kurz nach der Rückkehr in die Ukraine mit knapp fünfzehn Jahren erneut mitten im Krieg.

Ausschnitte aus der Einladung zum Frankfurter Paulskirchenfest

Shirin M. kommt mit ihrem Mann aus dem Iran nach Deutschland und spricht in ihrer Kurzgeschichte mit ihrem Kater. „Die Geografie Irans ist wie eine Katze. Und weil das Land in der deutschen Sprache ‚der Iran‘ heißt, habe ich mich anstatt für ‚die Katze‘ für ‚den Kater‘ entschieden.“ Die Erzählerin wählt den Arbeitstitel „Mein Kater und ich“. Als sie an einem windigen Tag in ihrem Geburtsland mit offenen Haaren auf der Straße steht, fühlt sie sich wie ein Vogel und stellt ihrem Kater die Frage, warum sie als Frau „nur die Hälfte ist“. Sie verspürt Verzweiflung und Hassgefühle ihm gegenüber, als bei einer Demonstration gegen die hohen Energiepreise 1.500 Menschen getötet werden. Sie ist wütend und weint, und empfindet dann auch wieder Stolz auf ihren Kater, der auch das Aufbegehren der Frauen hervorgebracht hat.

MUSIKALISCHE LESUNG

Alle finalen Kurzgeschichten und Gedichte der Autor:innen können Sie am 21. Mai 2023 von 14:00 – 15:30 Uhr im Rahmen einer musikalischen Abschlusslesung hören. Die Lesung findet im Stadthaus Frankfurt, Markt 1, in der Neuen Altstadt neben dem Dom statt. Mit einer Ausstellung werden die Texte auf Holzstelen präsentiert.

Der Eintritt ist frei. Anmeldung zur Lesung hier oder einfach an vhs@frankfurt.de unter Angabe der Kursnummer“4192-48″ und ihren Namen.