Die Buchstabenwerkstatt las beim Frankfurter Paulskirchenfest

Am 21. Mai 2023 ließ es sich keine:r der zehn Autor:innen, die an der Frankfurter Buchstabenwerkstatt zum Thema „Demokratie und Freiheit“ teilnahmen, nehmen, bei der musikalischen Lesung im neuen Dom-Römer-Viertel zu lesen. Die Programmerstellung für die vorgegebenen anderthalb Stunden wurde zu einer wahren Herausforderung.
„Es war für mich die große Chance“, erzählte Shahnaz Mahdipour, die ihre erste Kurzgeschichte mit dem Titel „Die tapfere Hand der Schülerin“, die auch ihre Flucht aus dem Iran thematisiert, in deutscher Sprache schrieb und zum 175. Jubiläum der Deutschen Nationalversammlung – der Geburtsstunde für Freiheit und Demokratie vor versammelter Öffentlichkeit vortragen konnte. Sie strahlte nach der Lesung im Café Liebfrauenberg.

Shabnam Halimi wollte ursprünglich „nur eine lustige Geschichte“ über den Klingelstreich „Schellenkloppen“ schreiben, „was alle Kinder auf der Welt machen“. Beim Schreiben

erinnerte sie sich an die Angst als Kind, wenn ihr wütende Nachbarn hinterher liefen und versuchten, sie zu erwischen und Schläge androhten. Aus der Angst des Kindes kam beim Schreiben die Angst der erwachsenen IOM-Mitarbeiterin hoch, als am 15. August 2021 wieder die Taliban in Afghanistan an die Macht kamen und sie am letzten Tag der Evakuierung weinend bis zum Morgenfrauen die letzten Flugzeuge zählte.

Danijel Dejanovic, Direktor der Volkshochschule Frankfurt am Main, begrüßte im Stadthaus der neuen Frankfurter Altstadt die Gäste und die Autor:innen, die alle zum ersten Mal ein Gedicht oder eine Kurzgeschichte in der neuen Fremdsprache Deutsch geschrieben haben. Das Schreibprojekt, so Dejanovic, soll Student:innen der Niveaustufen B1-B2-C1, die einen etwas anderen Zugang zur Sprache haben, eine zusätzliche Ausdrucksform in der neuen Fremdsprache ermöglichen.

Neu an der musikalischen Lesung war, das der Gitarrist Pit Uferstein die Texte dialogisch begleitete und immer dann die Saiten anspielte, wenn die Autor:innen beim Vorlesen eine bewusste Pause einlegten und ihm mit einem Blick zur Musik herausfordern. Das erforderte vom Musiker trotz Generalprobe höchste Konzentration. Umso beeindruckender war es dann zu erleben, als er die per Videokonferenz zugeschaltete Autorin Juanita Hernandez Bonilla bei ihrer Kurzgeschichte „Ein Kind von Los Patios“, in der sie die Geschichte ihres Vaters aus ärmsten Verhältnissen in Kolumbien erzählte, über den Bildschirm per Augenkontakt begleitete.

Die Texte der zehn Autor:innen waren so vielfältig und kontrastreich, wie ihre acht Herkunftsländer. Mit Stolz erzählte Michela Limardi, die viele Jahre in Frankreich gelebt hat, wie sie erstmals bei der Oberbürgermeisterwahl in Frankfurt wählen durfte und dazu ihre Eltern aus Italien anreist kamen.

Shirin Maleki schreibt in ihrer Kurzgeschichte „Mein Kater und ich“ von verzweifelten Kampf gegen die Unfreiheit in ihrem Land Iran und davon, wie diese ihr erst in der Freiheit schmerzhaft bewusst wird. Schließlich bricht sie erneut in den Iran auf, um die gegen

das Regime aufbegehrenden Frauen und Männer mit offenen Haaren zu unterstützen. Nur durch das mutige Eingreifen einer streng religiösen Iranerin mit kompletten Hijab gelang es ihr am Leben zu bleiben. Als sie die Frau fragte, warum sie ihr die Haustür geöffnet hat, bekam sie zur Antwort: „Religiös oder nicht, wir sind alle Iraner:innen“.

Für Mariam Al Shorofa, die in Palästina lebte und nach ihrer Flucht in die Ukraine von einem Krieg in den anderen kam und erneut mit ihren Eltern fliehen musste, ist das Tanzen zur Überlebensstrategie geworden. Als gegen Ende der Veranstaltung die Zeit knapp wurde, entschied sie sich, ihre Kurzgeschichte „Als Tänzerin geboren“, als Hip-Hop auf der Bühne zu tanzen. Es fehlte nichts. Sie tanzte ihr Leben, tanzte ihre Kurzgeschichte.

Die Texte und Kurzgeschichten wurden von Cettina Collatoni (Bürgerinitiative Ferhat Unvar Hanau) illustriert und konnten im Saal, im Foyer und auf der Bühne auf zehn Holzstelen als begehbare Ausstellung betrachtet und gelesen werden.

Zum Schluss ein Auszug aus dem Gedicht „Freiheit“ von Ehsan Mottahed Kank: „Freiheit / Ich suche dich. / Immer. / (…) / Ich will dich. / Sogar / bis ans Ende / meines Lebens. / Freiheit.“

Zu Leseproben meiner Buchstabenwerkstätten gelangen Sie hier: Werkstatthefte 1-3